Die 12 Jahre alte Farah fängt mit der Schule in Deutschland an. Sie ist die einzige Schülerin in der Klasse, die immigriert ist. Nach ungefähr einem Monat, in dem sie von der Lehrerin speziell angeleitet wurde, erwartet die Lehrerin nun, dass sie ihre Aufgaben in einer kleinen Arbeitsgruppe plant und bearbeitet.
Farah: Gestern sollten wir in einer kleinen Gruppe eine Präsentation über Tiere machen. Das fand ich toll und war neugierig, über welches Tier wir erzählen sollten. Aber das sagte die Lehrerin nicht. Die Kinder in meiner Gruppe riefen durcheinander: “Mein Hund!”, “Nein, meine Katze!” und ein anderes Kind wollte von ihrem Pony berichten. Ich schaute zur Lehrerin, ob sie helfen würde, aber sie war mit anderen Dingen beschäftigt. Warum sagt sie uns nicht, was wir tun sollen? Die Kinder denken, daß sie es wissen, aber das stimmt nicht. Ich fühlte mich allein gelassen. Und mir fehlte meine Katze Dibah, die noch in Syrien ist.
Lehrerin: Farah kommt schon gut mit, sie ist ein nettes Mädchen. Gestern sollten die Kinder eine Präentation über Tiere machen. Die Kinder begannen mit grosser Begeisterung und riefen gleich Tiere, über die sie reden wollten. Ich wollte sie das selbst entscheiden lassen. Farah schien mit ihren Gedanken woanders, sie machte nicht mit bei der Diskussion. Vielleicht haben sie keine Haustiere in Syrien.
WAS IST PASSIERT?
Farah sieht einen Lehrer als Experten und Führungsperson an. Sie ist an Lehrer gewöhnt, der erklärt und ihr sagt, was sie tun soll. Farahs Lehrerin in Deutschland möchte jedoch, dass die Schüler die Initiative ergreifen, in Gruppen arbeiten und mit ihrer individuellen Arbeit zur Lösung der Gruppenaufgabe beitragen. Auch wenn es so aussieht, als würde die Lehrerin herumsitzen, sie wird auf Fragen eingehen.
WELCHE LÖSUNGSMÖGLICHKEITEN GIBT ES?
Farah könnte versuchen, ihre Scheu zu überwinden, sich zu der Gruppe gesellen und ihre eigenen Ansichten teilen. Sie kann sich auch an die Lehrerin wenden und sie um Hilfestellung bitten. Die Lehrerin könnte eventuell mit Farah vereinbaren, dass sie ein bestimmtes Zeichen gibt, wenn sie Fragen hat.
Nachdem Farah zu Beginn individuelle Aufmerksamkeit bekommen hat, könnte die Lehrerin Farah ein Papier geben, welches das erwartete Verhalten beschreibt und Farah empfehlen, es mit ihren Eltern zu besprechen. Sie könnte auch einen Brief für die Eltern mitgeben, in dem sie sie zu einem Gespräch einlädt. Es ware auch möglich, mit Farah einmal wöchentlich zu besprechen, wie sie dasteht und sich entwickelt.
ERKLÄRUNG
Deutschland hat eine niedrige Machtdistanz, eine egalitäre, auf Gleichheit setzende Kultur (niedriger PDI). Farah kommt aus einer hierarchischeren Kultur mit einer hohen Machtdistanz.
In Farahs Kultur verlassen sich viele Menschen auf eine Führungsperson, die sich um sie kümmert im Austausch für deren Loyalität. Im Klassenzimmer erlebt Farah eine egalitäre Kultur, in der ein Lehrer eher ein Anleitender zum selber Lernen ist als aich als Führungsautorität zu verstehen. Ein Lehrer erwartet von den Schülern, dass sie Initiative ergreifen und in ihren Gruppen diskutieren. Jeder Schüler und jede Schülerin hat seine oder ihre eigene Meinung und teilt sie offen mit.