Meriam möchte ihre Familie in einer anderen Stadt besuchen. Am einfachsten kommt sie dort mit der Bahn hin.
Meriam: Als ich in den Zug einstieg, konnte ich keinen Sitzplatz finden. Nur die Hälfte der Sitze war besetzt, aber jeder schien auch den Nachbarsitz zu belegen.
Während ich durch den Zug ging, schaute niemand hoch oder bot mir einen SItz anzubieten, der von einem Mantel, einer Tasche oder mit Essen belegt ist. Jeder scheint damit beschäftigt zu sein, ein Buch oder die Zeitung zu lesen, Musik zu hören oder zu telefonieren. Ich fühlte mich unwohl und wusste nicht, wo ich sitzen sollte.
Ein Passagier:
Endlich bin ich im Zug nach Hause! Hoffentlich fährt er pünktlich. Nach so einem hektischen Tag will ich lieber niemanden neben mir, der vielleicht auch noch ein Gespräch will. Ich stelle meine Tasche neben mich und tue, als ob ich die Zeitung lese, dann kommt sicher keiner.
WAS IST PASSIERT?
Meriam sucht eine Möglichkeit Kontakt aufzunehmen. Sie möchte sich so eingeladen fühlen, sich neben jemanden zu setzen. Jeder im Zug ist nur mit seinen eigenen Dingen beschäftigt und hofft wohl tatsächlich, dass sich niemand auf den Nachbarsitz setzt, weil jeder seine Privatsphäre liebt. Deshalb sitzen in vielen Bahnen und Bussen die Leute alleine und sprechen nicht miteinander (außer am Telefon oder mit jemandem, den sie schon kennen).
Meriam ist gewohnt sich in einer Gruppe zu bewegen oder aufzuhalten, die ihr eine Form von Schutz bietet. Als sie niemand anschaut, scheint dieser Effekt nicht vorhanden zu sein. Sie fühlt sich alleine und verletzbar.
WELCHE LÖSUNGSMÖGLICHKEITEN GIBT ES?
Als niemand Meriam einen Platz anbietet, könnte sie den ersten Schritt machen und fragen, ob der Sitzplatz frei ist.: “Entschuldigung, ist hier noch frei?” Auf diese Weise entstünde ein erster Wortwechsel und sie würde sich sicherer fühlen. Man wird ihr den Platz frei machen und es als ihr gutes Recht ansehen, danach zu fragen.
Andere Passagiere könnten Meriams Beklemmung erkennen und sie einladen, sich neben sie zu setzen. Und letztlich könnte die Person, die Meriam über die Sitten und Gebräuche und die Kultur in Deutschland unterrichtet hat, als sie nach Deutschland kam, ihr und anderen Immigranten das erklären.
ERKLÄRUNG
In individualistischen Kulturen wird die Privatsphäre als wichtig angesehen. Man unterhält sich nur, wenn man einen Grund hat. Daher sind die Leute mit sich selbst beschäftigt und vermeiden eine Unterhaltung mit anderen Menschen (deshalb schauen sie auch nicht auf, wenn jemand an ihnen vorbeiläuft).
In gruppenorientierten Gesellschaften bestimmt Dein Verhältnis zu anderen Deinen Platz in der Welt. Deshalb versuchen Menschen aus gruppenorientierten Ländern jederzeit sich auszutauschen auf vielfältigste Art und Weise. Wenn dieser Austausch fehlt, fühlen sich grunppenorientierte Menschen verloren oder ausgeschlossen.
Neben dem sozialen Netzwerk bietet die Gruppe in gruppenorientierten Ländern auch Sicherheit. In dieser Geschichte geht es für eine allein reisende Frau nicht nur um soziale Interaktion sondern auch um die Sicherheit in der Gruppe.